Hôtel Lully

Hôtel Lully

Mit der Stadt Paris hat das DFK Paris einen kunsthistorisch zentralen Standort gewählt, dessen unvergleichliche Sammlungen, Bibliotheksbestände und Museen vor Ort weltweit führend sind und ein internationales Fachpublikum anziehen. Das Institutsgebäude liegt im ersten Arrondissement, ganz in der Nähe des Institut national d’histoire de l’art (INHA), des Louvre sowie der großen französischen Zentralbibliothek zur Kunstgeschichte in den Gebäuden der Bibliothèque nationale de France (BnF). 

Das Hôtel Lully aus dem 17. Jahrhundert verdankt seine Errichtung Jean-Baptiste Lully, dem aus Italien stammenden Hofkomponisten Ludwigs XIV. Nach einer lokalen Legende wurde er für den Erwerb des Terrains und die Errichtung des Baus mit 11.000 livres von Molière unterstützt. Aus der glanzvollen Epoche des Sonnenkönigs ist neben der denkmalgeschützen Fassadengestaltung mit ihren Bachantenmasken und einem Relief mit Musiksymbolen auch eine bemalte Decke im Salon Lully erhalten geblieben.

Die modernen Innenräume beherbergen neben der öffentlich zugänglichen Bibliothek und ihrem Lesesaal, einen Vortragssaal im Souterrain, ein Konferenzzimmer, das Forschungsatelier der Stipendiaten und Büros der Mitarbeiter des Instituts sowie drittmittelgeförderter Projekte.

Foto: Die Ostfassade des Hôtel Lully, Rue Sainte-Anne, Paris. © Markus Schilder/DFK Paris

Zur Geschichte des Hôtel Lully 

von Markus A. Castor und Laëtitia Pierre

Das ab 1670 errichtete, an der Rue des Petits Champs gelegene Hôtel Lully ist Teil einer von Jules Hardouin-Mansart entworfenen urbanistischen Neukonzeption des Zentrums von Paris. Die Straße verbindet die Place des Victoires im Osten und das Epizentrum der Pariser Eleganz, die Place Louis le Grand (heute Place Vendôme) im Westen. Die beiden Königsplätze wurden von Denkmälern Ludwigs XIV. bestimmt, im Osten durch ein Standbild des die europäischen Mächte dominierenden Königs von Martin Desjardins, die Place Louis le Grand von dem Reiterstandbild François Girardons. Die Straße bildete aufgrund ihrer Nähe zum Quartier du Louvre und zum Palais Royal zu Beginn des 18. Jahrhunderts einen Raum der politischen Macht und der Finanzgeschäfte. Die monumentalen, ausgedehnten Stadtpalais der Hochfinanz auf der Nordseite werden von meist als Mietobjekte errichteten Hôtels auf der Südseite ergänzt, so auch im Fall des Hôtel Lully. Zugunsten einer Legendenbildung um den Namen seines Besitzers Jean-Baptiste Lully (1632–1687), wurde die Erforschung der Geschichte des Gebäudes bis heute vernachlässigt. Dabei geben die Quellen der Pariser Archive bereitwillig Auskunft über zahlreiche Details von Geschichte und Aufgabe der Architektur. Pläne illustrieren die Etappen des Wandels, der Raumaufteilung des Gebäudes und seines Dekors, die Geschichte seiner wechselnden Besitzer lässt Rückschlüsse auf sich wandelnde Funktionen und das soziale Umfeld zu.

Auf einem von Prosper Bauyn gekauften und planierten Gelände errichtete Lully im Winkel der Rue Sainte-Anne und der zunächst Rue Neuve des Petits Champs genannten Straße auf zwei Parzellen zwei korrespondierende Gebäude, an deren Stelle sich heute die Hausnummern 45 und 47 der Rue des  Petits Champs befinden. Für die Bauten mit ihrer jeweiligen Geschossfläche von 108 Toises (etwa 650 Quadratfuß, knapp 200 qm2) investierte Lully insgesamt 45.000 Livres und profitierte dabei von der Freundschaft Molières, der ihm einen Betrag von 11.000 Livres lieh. Lully wandte sich an den Unternehmer Jean-Baptiste Prédot, der in den Jahren 1685/86 für die Neugestaltung der Place des Victoires verantwortlich sein sollte. Bis heute wird als Baumeister das Gründungsmitglied der Académie Royale d’Architecture, der Architekt Daniel Gittard (1625–1686), benannt, ohne dass sich bislang der Name aus den Archiven sicher bestätigen ließe.

Die beiden Gebäude wurden zwischen 1670 und 1671 errichtet. Am 13. März 1671 setzte Lully einen Mietvertrag für das Ladengeschäft im Erdgeschoss des ostwärtigen Gebäudes, auf der Ecke zur Rue Sainte-Anne, auf, das von einem Weinhändler gepachtet wurde. Die Wohnungen wurden nach und nach an Kaufleute und private Bewohner vermietet. Ursprüngliches Interesse Lullys dürfte zum einen die mit der Errichtung eines glanzvollen Gebäudes verbundene Demonstration seines Status als erster Musiker des Königs gewesen sein. Zum anderen handelte es sich um die Schaffung eines lukrativen Vermögenswertes, der durch Vermietung Rendite abwarf. Der Bauherr bewohnte bereits ein Appartement in der benachbarten Rue Sainte-Anne und blieb dort bis 1683. Das Viertel wurde von den Musikern der städtischen Zunft frequentiert, welche in der Rue des Petits Champs Wohnungen für die vielen Wanderkünstler besaß, die befristet für Aufführungen engagiert wurden.

Die Weinhandlung im Erdgeschoss war zuallererst Treffpunkt einer distinguierten Gesellschaft. Dem entsprach auch der aufwendige Dekor, der beide Fassaden des Eck-Hôtels schmückt und allegorische Themen aus dem Umfeld des Weingottes Dionysos und der Musik repräsentiert. Die Ausarbeitung des Bauschmuckes diente als Modell für zahlreiche Hôtels der Zeit, insbesondere auch für die Fassaden der Place des Victoires. Die strengen, rustizierten und rundbogigen Blendarkaden überfangen Erdgeschoss und Entresol und sind jeweils mit Masken und Kartuschen bekrönt. Zusammen mit den korinthischen Kolossalpilastern verleihen sie der Immobilie des Surintendant de la Musique Ludwigs XIV. herrschaftlichen Ausdruck.

Nach dem Tode Lullys am 22. März 1687 übernahm seine Frau Madeleine Lambert die Wohnung in der Beletage des Hauses Nr. 45 und wohnte dort bis 1720. Nur ein einziges erhaltenes Deckenfresko illustriert heute das bacchantische Programm des späten 17. Jahrhunderts, dessen übriger Dekor heute verloren ist. Nach einer Quelle des 19. Jahrhunderts zeigte das zentrale Deckengemälde Diana und Endymion, ein Bildsujet, das in den zwanziger Jahren des 18. Jahrhunderts vor allem durch Jean- François de Troy aufgenommen und verbreitet wurde, einem der vielen gerühmten Maler der Zeit, deren Appartements in der Rue des Petits Champs lagen. Die beiden Eckfenster des Erdgeschosses waren mit schmiedeeisernen Gittern ausgestattet, die die Weinhandlung zur Straße hin sicherten. In der Regierungszeit Ludwigs XVI. wandelte sich das Ladengeschäft zu einem Café, das den Namen »À l’épée de bois« (Zum Holzschwert) trug.

1802 gehörten die beiden Gebäude Anne-Émilie Picot de Dampierre, Ehefrau von Jean-Joseph Dessolle (1767–1828), der zunächst als Général de l’Empire diente und dann zum Ministre de la Restauration aufstieg. Das Haus Nr. 45 ging am 23. Januar 1807 für die Summe von 155.000 Francs an seinen neuen Besitzer, den Metzger Jean-Baptiste Jean. Auch wenn die Umbauten des Gebäudes im 18. und 19. Jahrhundert bislang noch nicht Gegenstand der architekturhistorischen Forschung waren, erlauben es die historischen Zeugnisse, diese Lücke teilweise zu füllen. Das Hôtel beherbergte über das gesamte 19. Jahrhunderts hinweg zahlreiche Persönlichkeiten, die mit dem Quartier Saint-Roch, dem wichtigen Zentrum des Pariser Kulturlebens rund um die nahegelegene, gleichnamige Kirche, verbunden waren. So skizzierte insbesondere Stendhal in seinem Journal die Anordnung der Appartements und der Wohnung seiner Maîtresse, der Comédienne Mélanie Guilbert*. Die Schülerin von Mademoiselle Clairon (La Clairon) bewohnte nach ihrer Trennung von dem preußischen Diplomaten Justus Grunder zwischen 1804 und 1806 das Zwischengeschoss**.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts wurde eines der geschmiedeten Gitter an den Gründer des Musée du Vieux Paris, den Gelehrten Charles Normand, verkauft. 1923 wurde die Fassade des Hôtel Lully als Monument Historique klassifiziert. Zeitgleich erfuhr das Gebäude eine Transformation, die seine Raumaufteilung im Inneren grundlegend veränderte. Eine Renovierung im Jahre 1995 brachte erneut einen umfassenden Eingriff in die Baustruktur mit sich, etwa das Einziehen von Stahlbeton-Decken, und im Jahre 2010 wurde die Raumaufteilung abermals ohne Berücksichtigung oder Dokumentation der historischen Distribution geändert. Ungeachtet all dieser Veränderungen begründet die Geschichte des Hôtel Lully eine grundsätzliche Herausforderung. Sie sollte sich nicht allein dem Interesse an seiner libertinen Legende verdanken, sondern ebenso eine lebendige Erinnerung an eine Pariser Mentalitätengeschichte seit dem Ancien Régime bis heute sein. Sozialgeschichtliche und musikhistorische Fragen verbinden sich hier mit Aspekten von Urbanistik, Denkmalpflege sowie Architektur- und Kunstgeschichte.

* Stendhal, Journal, Paris 1955, S. 659, 680 u. 721.
** André Doyon u. Yves du Parc, De Mélanie à Lamiel, ou d’un amour d’Henri Beyle au roman de Stendhal, Aran 1972, S. 53–55.